Gesundheit & Ernährung: Gleichgewichtssystem: Schwindel ist eines der häufigsten Symptome
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27. Dezember 2016 00:00 Uhr
Gleichgewichtssystem
Schwindelgefühle werden sehr unterschiedlich wahrgenommen, und genauso vielfältig sind ihre Ursachen. Dabei ist der Schwindel keine Krankheit, sondern ein Symptom.
"In der Notaufnahme wird in etwa 40 Prozent der Fälle Schwindel als eines der Symptome genannt", sagt Christoph Maurer, Neurologe an der Universitätsklinik in Freiburg. Er rät dazu, bei auftretendem Schwindel auf jeden Fall den Hausarzt aufzusuchen. Ist der Schwindel akut und sehr schwerwiegend, so sollte der Notarzt gerufen werden, denn auch ein Schlaganfall kann die Ursache sein.
Ist das Gleichgewichtssystem selbst gestört, so liegt die Ursache entweder bei einer Störung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr – oder das Gleichgewichtszentrum im Gehirn ist betroffen. In einem Viertel der Fälle sind Entzündungen des Mittelohrs oder des Gleichgewichtsnervs der Grund für eine Fehlfunktion des Gleichgewichtsorgans. Diese werden mit Entzündungshemmern oder – bei einer bakteriellen Infektion – mit Antibiotika behandelt.
Noch häufiger, in ungefähr 30 Prozent der Fälle, handelt es sich um den sogenannten Lagerungsschwindel. Dem Betroffenen wird es schwindelig, sobald er den Kopf bewegt. Ursache sind Kristalle, die sich im Gleichgewichtsorgan lösen und in die Bogengänge gelangen. Das kann bei einem heftigen Stoß gegen den Kopf passieren, ist weitaus häufiger aber altersbedingt. Die Behandlung des Lagerungsschwindels ist einfach: Mit einer bestimmten Bewegungsabfolge wird erreicht, dass die Kristalle aus dem Gleichgewichtsorgan befördert werden. Diese kann der Arzt anleiten. Medikamente sind nicht notwendig.
Für die Störung des Gleichgewichtsorgans gibt es noch viele weitere, aber weit weniger häufig auftretende Ursachen, etwa das Schwannom, ein gutartiger Tumor in der Wand des Gleichgewichtsnervs, oder die Menière-Krankheit, bei der im Innenohr durch Überdruck eine Membran einreißt und sich unterschiedliche Lymphflüssigkeiten mischen.
Bei Schlaganfällen tritt Schwindel auf, weil das Gleichgewichtszentrum im Gehirn wegen der Durchblutungsstörung nicht richtig funktioniert. Der Schlaganfall hat noch eine Reihe weiterer möglicher Symptome wie zum Beispiel einseitige Muskelschwäche oder Sprach- und Schluckstörungen. "Es kommt aber vor, dass Schwindel das einzige Symptom ist", sagt Maurer. Darin liege für behandelnde Ärzte eine große Herausforderung.
Ein Symptom, das darauf hinweist, dass das Gleichgewichtsorgan oder das Gleichgewichtszentrum im Gehirn Ursache für den Schwindel ist, ist der so genannte Nystagmus, eine ruckartige Bewegung des Auges, das versucht, den Schwindel auszugleichen. "Geht ein Betroffener wegen Schwindelgefühlen zum Arzt, ist es sehr hilfreich, wenn Angehörige schon vorher darauf achten, ob ein Nystagmus auftritt", sagt Maurer. Denn durch die Kompensationsleistung des Gehirns verschwinde dieser meist, bevor der Betroffene beim Arzt ankommt. Diese vorsorgliche Beobachtung erleichtert die Ursachenabklärung erheblich.
Häufiger sind allerdings Fälle von Schwindelgefühlen, bei denen das Gleichgewichtsorgan im Ohr oder das Gleichgewichtszentrum im Gehirn gar nicht betroffen sind. Diese äußern sich zum Beispiel in einer starken Benommenheit oder Taumeligkeit. Häufig stecken Kreislaufstörungen oder eine Herzschwäche dahinter. In leichten Fällen hilft es meist, viel zu trinken und mehr Salz zu sich zu nehmen.
Bei Menschen mit dem so genannten orthostatischen Phänomen ist das Herzkreislaufsystem aber in aufrechter Haltung krankhaft gestört. Diese leiden häufig unter mit Schwindel verbundenen Ohnmachtsanfällen. Auch Gehstörungen werden von vielen Patienten als Schwindel wahrgenommen. Im Sitzen zeigen sich dagegen keine Schwindelsymptome. Betroffen sind vor allem Menschen mit Erkrankungen des Nervensystems. Dazu gehören Parkinson, Wirbelsäulen- und Rückenmarkserkrankungen sowie die Polyneuropathie, bei der die peripheren Nerven an Füßen und Händen in Mitleidenschaft gezogen sind.
In diesen Fällen ist die Tiefensensibiliät beeinträchtigt. Die Betroffenen fühlen sich unsicher auf den Beinen, unter anderem, weil sie die Lage ihrer Fußgelenke nicht einschätzen können. Es gibt auch psychische Ursachen für Schwindelgefühle, zum Beispiel Angststörungen. Die Betroffenen empfinden Schwindel in der angstauslösenden Situation, zum Beispiel auf Brücken oder in Menschenmengen. Hier helfen verschiedene Formen der Psychotherapie.
Nebenwirkungen von Medikamenten können ebenfalls Schwindelgefühle auslösen. Nicht selten kommt es zudem vor, dass Menschen zum Beispiel an einer Entzündung des Gleichgewichtsnervs oder an Lagerungsschwindel litten und der Schwindel bleibt, obwohl die Ursache nicht mehr besteht. Fachbegriff dafür ist der chronisch subjektive Schwindel. "Man könnte es eine Lernstörung nennen", erläutert Maurer: Dem Gehirn falle es schwer, sich wieder in den Normalbetrieb zurückzugewöhnen.
Oft ist es nicht einfach, die Ursache für Schwindel festzustellen. An der Universitätsklinik Freiburg gibt es für solche Fälle eine Schwindelambulanz, die Christoph Maurer leitet. "Wir sind eine Bestellambulanz", erklärt Maurer. Patienten gehen also nicht direkt dorthin, sondern werden in schwierigen Fällen vom behandelnden Arzt dort angemeldet. In der Schwindelambulanz wird sehr gezielt nach der Ursache geforscht. Die Patienten werden dann, je nach Diagnose, an den entsprechenden Facharzt oder Fachbereich der Klinik weitergeleitet. Störungen am Gleichgewichtsorgan im Innenohr behandelt zum Beispiel der Hals-Nasen-Ohren-Arzt, ist das Gleichgewichtszentrum im Gehirn betroffen, ist die Neurologie zuständig.
Bis die Diagnose und damit eine mögliche Therapie des Schwindels gefunden ist, kann viel Zeit vergehen. Was kann man also selber gegen Schwindel tun? Die Faustregel: Das Gehirn lernt von selbst und kann in den meisten Fällen eine Störung des Gleichgewichtssystems ausgleichen. Mit Training lassen sich diese Selbstlernkräfte unterstützen. Auch wenn ein Schwindel anhält, hilft Training, damit umzugehen. Beim Blicktraining zum Beispiel fixiert man mit den Augen einen Punkt und bewegt den Kopf, behält dabei aber das Ziel im Auge. Auf diese Weise stabilisiert und verbessert sich das Gleichgewicht.
Bei älteren Menschen kommen oft mehrere Krankheiten zusammen, die zu Gleichgewichts- beziehungsweise Geh- oder Gangstörungen führen. Wenn sie unsicher auf den Füßen sind, führt das dazu, dass sie sich weniger bewegen und ihre Muskelkraft nachlässt. Mit einem gezielten Training kann hier eine Verbesserung erreicht und damit auch die Sturzgefahr erheblich vermindert werden. "Wir schauen, inwiefern Kreislauf, Gleichgewicht oder die Muskelkraft beeinträchtigt sind, wobei die beiden zuletzt Genannten am bedeutsamsten sind", sagt Bernhard Heimbach, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Geriatrie und Gerontologie Freiburg an der Uniklinik in Freiburg. Danach wird eine Priorisierung vorgenommen und ein Trainingsplan erstellt, den die Patienten teilweise auch zu Hause ausführen können. Ist das Ziel ein stabiler Stand und reicht dafür die Muskelkraft nicht aus, so werden gezielt die Fußmuskeln, Oberschenkel- und Rumpfmuskulatur trainiert.
Für das Gleichgewicht können die Patienten zum Beispiel das Stehen auf einem Bein üben, indem sie sich zunächst an einem Schrank festhalten und danach den freien Stand probieren. Beim Gangtraining werden die Füße immer näher zusammengeführt bis zum Tandemstand, bei dem ein Fuß vor dem anderen steht. Wichtig ist, dass Betroffene sich von einem Physio- oder Ergotherapeuten anleiten lassen, bevor sie allein trainieren.
So funktioniert unser Gleichgewichtssystem
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das dauerhaft aufrecht geht. Evolutionsgeschichtlich ist das eine geradezu revolutionäre Entwicklung.
Mit dem Homo erectus begann vor einer Million Jahren die Arbeitsteilung der Gliedmaßen. Die Beine für die Fortbewegung, Arme und Hände zum Greifen und Halten. Damit der Mensch sich auf seinen Beinen überhaupt halten kann, verfügt er über ein ausgeklügeltes Gleichgewichtssystem. Unterschiedliche Bereiche im menschlichen Körper arbeiten dafür raffiniert zusammen.
Ein bedeutender Spieler in diesem System ist der sogenannte Vestibularapparat, das Gleichgewichtsorgan. Es sitzt links und rechts im Innenohr und registriert zusammen mit den Augen und seinen Nervenbahnen zum Gehirn Beschleunigungen und Lageveränderungen. Das Organ besteht aus drei Bogengängen, zuständig für die dreidimensionale Orientierung im Raum, und aus dem großen und dem kleinen Vorhofsäckchen, die der Wahrnehmung von Geschwindigkeit dienen. Einen wichtigen Beitrag leistet aber auch die Tiefensensibilität und der damit verbundene Lagesinn. Er hilft der Wahrnehmung des Körpers im Raum, der Stellung der Gelenke und des Kopfes.
Übergeordnet ist das Gleichgewichtszentrum im Gehirn. Es sitzt in Kleinhirn und Hirnstamm und verarbeitet die eingehenden Informationen. Die aktuelle Position im Raum wird errechnet und mit den Bewegungsabläufen abgeglichen, die der Mensch seit seiner Geburt gelernt und abgespeichert hat. Befehle an Augen und Muskeln sorgen gegebenenfalls für Korrekturbewegungen, damit die Balance aufrecht erhalten wird.
Autor: pvö
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