Regionale Ernährung ist möglich: Kohl und Kartoffeln schützen das Klima

Regionale Ernährung ist möglich

Die Metropolregion Hamburg könnte sich selbst mit regionalen Öko-Lebensmitteln versorgen. Das zeigt eine Studie der Hamburger Hafencity-Universität

Ohne lange Transportwege: Kartoffeln vom Bauern nebenan Foto: Uwe Zucchi/dpa

HAMBURG taz | Würden sich alle an die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung halten, könnten sich Hamburg und seine Umgebung in einem 100-Kilometer-Radius vollständig bio und regional ernähren. Das ist das zentrale Ergebnis einer Masterarbeit an der Hafencity-Universität Hamburg.

Die Studentin Sarah Joseph hat darin den Landbedarf verschiedener Ernährungsweisen mit der Einwohnerzahl und der Agrarfläche abgeglichen. Als entscheidender Faktor für den Grad der möglichen Selbstversorgung hat sich dabei der Fleischkonsum erwiesen.

„Eine ökologische, regionale Landwirtschaft hilft, zu wahren Preisen für Lebensmittel zu kommen“, sagt Ulf Schönheim von der Regionalwert AG, einer von Josephs Interviewpartnern, der sich selbst zu diesem Thema engagiert. „In der heutigen industrialisierten Landwirtschaft fallen die wahren Kosten anderswo an.“

Den Preis für billige konventionelle Lebensmittel bezahlen wir auf vielfache Weise: Für das Soja im Kraftfutter werden Regenwälder abgeholzt. Die intensive Bearbeitung lässt den Boden erodieren. Die Antibiotika, die das Wachstum von Tieren beschleunigen und verhindern sollen, dass in Massenställen Epidemien ausbrechen, lassen Krankheitserreger resistent werden. Überschüssige Nährstoffe werden in Gewässer gespült, führen dort zu giftigen Algenblüten oder gar zu deren „Umkippen“. Der übermäßige Stickstoffeintrag durch Gülle bedroht zudem das Trinkwasser.

Künstlicher Dünger ist noch schlimmer: „Bei industriell hergestelltem Stickstoffdünger belasten sowohl die Herstellung als auch die Anwendung das Klima deutlich“, warnt das Berliner Institut für Welternährung. Um ein Kilogramm Stickstoffdünger herzustellen, muss der Energieinhalt von einem Liter Erdöl aufgewandt werden.

Weil die Pflanzen zum wachsen kontinuierlich Stickstoff brauchen, der Dünger aber stoßweise ausgebracht wird, nehmen die Pflanzen einen großen Teil davon gar nicht auf. Der Rest verwandelt sich im Boden in Lachgas, das wiederum den Treibhauseffekt verstärkt.

Es spricht also einiges dafür, die Landwirtschaft umweltverträglicher zu machen – und regionaler. Lange Transportwege fallen weg. Außerdem legt ein großer Teil der Verbraucher Wert auf die regionale Herkunft seiner Lebensmittel. Laut dem Ernährungsreport der Bundeslandwirtschaftsministeriums 2016 gilt das für drei Viertel der Verbraucher.

Äßen die Leute nur konventionelle Kartoffeln, könnte sich die Region um Hamburg selbst versorgen

Für den Lebensmittelanbau stehen in den norddeutschen Flächenländern rund drei Viertel der Agrarfläche zur Verfügung: In Mecklenburg-Vorpommern 80 Prozent, in Niedersachsen 72 Prozent, in Schleswig-Holstein 67 – der Rest besteht überwiegend aus Grasland.

Joseph geht davon aus, dass 75 Prozent der Agrarfläche tatsächlich für die Nahrungsmittelproduktion und nicht etwa für die Erzeugung von Energiepflanzen wie Mais für Biogansanlagen verwandt wird. Sie schlägt einmal einen 50-Kilometer-Kreis um Hamburg – der ungefähr Hamburg mit seinen Nachbarkreisen mit rund 2,2 Millionen Einwohnern entspricht – sowie einen 100-Kilometer-Umkreis mit 6,2 Millionen Einwohnern. Dann untersucht sie, welche Ernährungsgewohnheiten die unterschiedlich großen Gebiete unter dem Selbstversorgungsaspekt gewährleisten könnten.

Schlagendstes Ergebnis: Würden sich die Leute bloß von konventionell angebauten Kartoffeln ernähren, könnte sich die 50-Kilometer-Region vollständig selbst versorgen – selbst wenn sie nur auf der Hälfte ihrer Agrarfläche die Knollen anbauen würde.

Sollten die heutigen Ernährungsgewohnheiten mit viel Fleisch, Milchprodukten und Obst bedient werden, könnten selbst konventionell nur 64 Prozent der Menschen regional ernährt werden. Dafür müsste aber die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche mit Lebensmitteln bebaut werden. Um 100 Prozent zu schaffen, müsste der Radius auf 100 Kilometer ausgeweitet werden.

Selbst in einem relativ dicht besiedelten Gebiet ist es also möglich, dass sich die Bevölkerung selbst versorgt. Denn in dem Kreis mit 50 Kilometern Radius leben 650 Menschen pro Quadratkilometer Agrarland, im 100-Kilometer-Umkreis gut 293. Zum Vergleich: Auf die gesamte Landfläche bezogen leben in ganz Niedersachsen durchschnittlich 164 Menschen auf einem Quadratkilometer, in Schleswig-Holstein 179.

Eine Rechnung, die der aktuellen Nutzung der Äcker am ehesten nahe kommt, müsste davon ausgehen, dass auf drei Vierteln der landwirtschaftlichen Nutzfläche Lebensmittel angebaut werden. Im 100-Kilometer-Umkreis wäre dann bei den heutigen Essgewohnheiten und konventioneller Erzeugung ein Selbstversorgungsgrad von 97 Prozent möglich; bei ökologischer Erzeugung, die mehr Fläche benötigt, und konventionellen Essgewohnheiten wären es 75 Prozent, bei einer ökologischen Ernährung nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) 100 Prozent.

Denn die rät zu weniger Fleisch: „Fleischerzeugung ist der größte Flächenfresser“, sagt Joseph. Der Anteil des Fleischverzehrs an der Ernährung ist in Deutschland seit 1850 von 21 auf 87 Kilogramm pro Kopf und Jahr angestiegen. Die DGE empfiehlt 24 Kilogramm. Schon zwei fleischfreie Tage pro Woche würden einen regionalen Selbstversorgungsgrad von 92 Prozent ermöglichen.

Grund ist, dass ökologischer Landbau weniger effektiv ist als konventioneller und deshalb mehr Agrarfläche benötigt. Dieser Effekt potenziert sich bei der Tierproduktion, weil ja für ein Kilogramm Fleisch ein Vielfaches an Futter erzeugt werden muss. Dabei lässt sich das Eiweiß aus dem Fleisch gut durch das aus Hülsenfrüchen wie Erbsen und Bohnen ersetzen, die überdies den Boden auf natürliche Weise mit Stickstoff anreichern.

Ganz auf tierische Produkte zu verzichten, empfiehlt Joseph nicht. Denn das würde dem Kreislaufgedanken der ökologischen Landwirtschaft widersprechen, wobei die Tiere den Dünger für die Äcker liefern.

Es bleibe die Frage, sagt Joseph, „wie kann die ökologische und regionale Landwirtschaft gefördert werden, wenn die Konsumenten nicht willens oder in der Lage sind, mehr für deren Erzeugnisse zu bezahlen“? Eine Möglichkeit seien alternative Nahrungsnetzwerke. Beispiele in der Region sind die solidarische Landwirtschaft, wie sie der Kattendorfer Hof betreibt. Hier können Konsumenten Mitglieder werden. Für einen regelmäßigen Beitrag, der dem Hof stabile und verlässliche Einnahmen verschafft, steht den Mitgliedern ein Anteil an der Ernte zu.

Länger bekannt sind Food Coops. Dabei schließen sich Konsumenten zusammen, um gemeinsam den Einkauf zu organisieren und so günstige Preise und gute Qualität zu erhalten. Ein neues Modell ist die Regionalwert AG. Sie verkauft Aktien an Bürger und investiert das eingenommene Geld in ökologisch und sozial wirtschaftende Betriebe der Region – vom Bauernhof über die Molkerei oder Brauerei bis zum Laden.

In ihrer Dissertation will Joseph solche Modelle näher untersuchen. Es soll dabei um die Frage gehen, wie man Verbrauchern ökologische Lebensmittel zu vernünftigen Preisen zur Verfügung stellen kann.

Quelle:

www.taz.de

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