Vegan essen: Gesund oder zu einseitig?

Kein Fleisch, kein Fisch, keine Milch, keine Eier – wer tierische Lebensmittel vom Speiseplan streicht und auf vegane Ernährung setzt, sollte die Risiken kennen

von Dr. Lisa Meyer, 29.08.2017

Auch ohne Fleisch ist ein ausgewogener Speiseplan mit viel Gemüse wichtig

W&B/André Kirsch

Schlanker, schöner, gesünder, sogar jünger sollen wir werden, wenn wir auf tierische Produkte verzichten. So lautet das Versprechen zahlreicher Kochbücher und Internetseiten, die vegane Ernährung als Gesundheits-Hit anpreisen.

Zwar verzichten laut einer Studie der Techniker Krankenkasse derzeit nur zwei Prozent der Deutschen konsequent auf Fleisch, und nur rund ein Prozent meidet alles Tierische auf dem Teller. Doch mehr und mehr Verbraucher versuchen, sich dem neuen Ernährungsideal zumindest anzunähern und öfter einmal ohne Wurst und Milchprodukte auszukommen. Vegan und vegetarisch liegen im Trend. Doch ist solch ein abgespeckter Speiseplan wirklich besser für den Körper?

Besser: Selber kochen statt fertig kaufen

W&B/André Kirsch

Mehr Ballaststoffe und Vitamine

Tatsächlich sind Vegetarier oft gesünder. Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen: "Wer sich fleischlos ernährt, weist niedrigere Blutdruck-, Blutzucker und Blutfettwerte auf, wiegt weniger und hat ein geringeres Diabetes[1]-Risiko", sagt die Ökotrophologin Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Vegetarier leiden außerdem seltener an Krankheiten des Herz[2]-Kreislauf-Systems und bösartigen Tumoren.
Diese Unterschiede lassen sich nicht allein auf die Ernährung zurückführen. Vegetarier und Veganer sind in der Regel besser ausgebildet, sie rauchen[3] weniger, trinken seltener Alkohol und bewegen sich mehr – achten also ohnehin stark auf ihre Gesundheit.

Zusätzlich können Vegetarier und Veganer aber mit der Zufuhr von Ballaststoffen, bestimmten Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen punkten. "Ihre Ernährung ist meist mit einer niedrigeren Energieaufnahme verbunden und weist ein günstigeres Fettsäuremuster auf", erläutert Professor Andreas Hahn, Leiter des Instituts für Lebensmittelwissenschaft und Humanernährung der Universität Hannover. Mit einem höheren Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren und einem geringeren Anteil an gesättigten Fettsäuren im Essen sind sie besser vor Herzkrankheiten geschützt.

Bitte nicht ersatzlos streichen

Offizielle Stellen, wie etwa die DGE, raten dennoch weiterhin dazu, auch Eier, Milchprodukte und etwas Fleisch zu essen. Während Vegetarier den Fleischverzicht noch relativ leicht kompensieren könnten, würden Veganer ihre Gesundheit gefährden, wenn sie ihre Ernährung nicht sorgfältig planen, sagt Expertin Gahl. Sie riskieren, zu wenig Eiweiß, Omega-3-Fettsäuren, Vitamine (B2, B12[4] und D) sowie Mineralstoffe (Kalzium[5], Eisen[6], Jod, Zink[7], Selen) zu sich zu nehmen.

Mit dem nötigen Wissen lässt sich der Bedarf zwar über pflanzliche Lebensmittel abdecken. So steckt Kalzium in Nüssen und einigen Gemüsesorten, ­Eiweiß in Hülsenfrüchten und Tofu. Nur ein Nährstoff ist nicht so einfach zu ersetzen: Vitamin B12. Es kommt fast ausschließlich in tierischen Lebensmitteln vor. Wer diese nicht isst, leidet eher an einem Mangel. Bis zu 32 Prozent der Vegetarier und bis zu 87 Prozent der Veganer sind davon betroffen, so das Ergebnis verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungen.

Blut und Nerven können durch den Mangel leiden

Wird der Unterversorgung nicht rechtzeitig gegengesteuert, kann es zu Störungen der Blutbildung und zu Nervenschäden kommen. Weil die Leber[8] Vitamin B12 in größerer Menge speichert, zeigen sich körperliche Symptome allerdings oft erst nach Jahren ohne Ei, Fleisch und Milch. Zu den ersten Anzeichen gehören Kribbeln in Händen und Füßen, Blässe, Müdigkeit[9] oder Verdauungsprobleme.

Um vorzubeugen, sollten Veganer zu angereicherten Lebensmitteln greifen, etwa zu speziellen Müslis, Margarinen oder Fruchtsäften. Damit und mit der dauerhaften Einnahme eines Vitamin- B12-Präparats sei es möglich, sich gesund vegan zu ernähren, urteilt die DGE. Zusätzlich sollten Veganer ihre B12-Versorgung einmal im Jahr beim Hausarzt prüfen lassen. Die Kasse zahlt den Bluttest aber nur, wenn der Verdacht auf eine Erkrankung besteht. Bei reiner Vorsorge muss der Patient die Kosten für die Laboruntersuchung selbst tragen. Preis: bis zu 100 Euro.

Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg

W&B/Sarah Rubensdörffer

Sonnenblume oder Chemielabor?

Ein weiteres Problem: So manchem Vegetarier und Veganer fehlt dann doch der Geschmack von Fleisch und Wurst. Für diese Zielgruppe gibt es eine zunehmend breitere Auswahl an Ersatzprodukten. Schnitzel, Leberwurst, Aufschnitt – alles ohne Fleisch. "Wir essen viel zu viel Fleisch, darum stellen die Produkte grundsätzlich eine Verbesserung dar", findet Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. "Doch etliche dieser Waren werben mit einem gesunden, natürlichen Image, das sie oft nicht erfüllen." Untersuchungen haben gezeigt, dass einige der Produkte übermäßige Mengen an Salz, Zucker und Fett enthalten. Um dem tierischen Original im Geschmack möglichst nahezukommen, braucht es zudem häufig Farb- und Konservierungsstoffe, Verdickungsmittel und Aromen.

Auf dem Etikett eines veganen Burgers beispielsweise prangt dann eine knallgelbe Sonnenblume vor grüner Wiese – als wäre die fleischlose Frikadelle direkt der Natur entsprungen. Die Liste der Inhaltsstoffe vermittelt dagegen eher das Flair eines Chemie­labors: E1422, E200, E160a, E331 steht da beispielsweise.

Fleischersatz enthält oft viel Fett und Salz

Obendrein, so stellte die Verbraucherzentrale Hamburg fest, enthält das Lebensmittel aus Weizeneiweiß rund 35 Prozent mehr Fett als ein üblicher Burgerbelag und viermal so viele gesättigte Fettsäuren. "Das ist nicht ‚Natur pur‘, wie die Hersteller gerne suggerieren", sagt Lebensmittelchemiker Valet. Da müsse nachgeholfen werden, um Aussehen und Geschmack von Fleischprodukten zu imitieren. Verbraucher sollten deswegen genau das Kleingedruckte auf der Packung lesen oder ihren Seitan lieber gleich selbst zubereiten.

Vegane oder vegetarische Kost ist also nicht automatisch gesund. "Wer statt tierischer Produkte vor allem hochverarbeitete Lebensmittel, Weißmehlprodukte oder Zuckerhaltiges verzehrt, für den ergibt sich kein gesundheitlicher Nutzen", sagt Experte Hahn. Vorteile gegenüber der durchschnittlichen Ernährung zeigten sich nur, wenn vor allem Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte und Nüsse auf dem Teller landeten.

Im Grunde gilt für Vegetarier und Veganer das Gleiche wie für jeden anderen auch: Ausgewogen und vielseitig muss der Speiseplan sein. Und selbst Gekochtes ist generell gesünder als Fertiggerichte.


Fußnoten:

  1. ^ Zuckerkrankheit: Diabetes – was ist das? (www.apotheken-umschau.de)
  2. ^ Das Herz: Aufbau, Funktion und Erkrankungen (www.apotheken-umschau.de)
  3. ^ Schluss mit Rauchen: So hören Sie auf (www.apotheken-umschau.de)
  4. ^ Vitamin B12: Essenziell für die Zellteilung (www.apotheken-umschau.de)
  5. ^ Calcium (Kalzium): Ein wichtiger Mineralstoff (www.apotheken-umschau.de)
  6. ^ Eisen: Das machtvolle Spurenelement (www.apotheken-umschau.de)
  7. ^ Zink: Partner vieler Enzyme (www.apotheken-umschau.de)
  8. ^ Die Leber: Energielieferant und Entgifter (www.apotheken-umschau.de)
  9. ^ Müdigkeit (www.apotheken-umschau.de)

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