Warum ökologischer Landbau kein Luxus für die Reichen ist | Dr. Alexandra Hildebrandt
Als Bauernjunge und Sohn eines Gutsverwalters auf der Domaine des Barges im Unterwallis, einem Landwirtschaftsbetrieb im Besitz der Aargauer Tabakdynastie Burger Söhne, erlebte Hans R. Herren am eigenen Leib, was „intensive Landwirtschaft" schon damals bedeutete: Gegen die Raupen der Motten und Nachtfalter an den Tabakblättern sowie gegen Pilzkrankheiten wurden hochgiftige Insektizide und Fungizide verspritzt, die neben den Schadinsekten und Pilzen auch Nützlinge wie Bienen vernichteten.
Seine Dissertation schrieb er bei Vittorio Delucchi, Professor für Entomologie (Insektenkunde), der in der Schweiz als Pionier der Idee gilt, in der Landwirtschaft keine Insektizide, sondern natürliche Feinde gegen schädliche Insekten einzusetzen. Später war Herren 27 Jahre in Afrika und in der biologischen Schädlingsbekämpfung tätig. Seine Erfahrungen und das erworbene Wissen machten ihm bewusst, wie wichtig es ist, dass die Landwirtschaft und unser gesamtes Ernährungssystem grundlegend nachhaltig transformiert werden müssen, weil die Fleischproduktion immer mehr industriell in Massentierhaltungssystemen stattfindet und das Haltungsform mit dem Einsatz großer Mengen von Antibiotika verbunden ist (weltweit gehen 70% des Antibiotikaverbrauchs auf das Konto der landwirtschaftlichen Tierhaltung.
Der enorme Antibiotikaeinsatz begünstigt die Entwicklung von Resistenzen. Folglich sterben in Europa ca. 25.000 Menschen jährlich an Infektionen durch antibiotikaresistente Erreger. Die Fleischproduktion erfolgt immer mehr industriell in Massentierhaltungssystemen, was mit dem Einsatz großer Mengen von Antibiotika verbunden ist. 70 % des Antibiotikaverbrauchs gehen weltweit auf das Konto der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Durch den Einsatz von Pestiziden erleiden jährlich drei bis fünf Millionen Bäuerinnen und Landarbeiter Vergiftungen - davon enden jährlich etwa 220.000 tödlich.
Die Landwirtschaft, die Herren sich Herren wünscht und für die er sich einsetzt, treibt nicht den höchsten, sondern den nachhaltig möglichen Ertrag an - und sie ist multifunktional: „Sie schont Böden und Gewässer, regeneriert und erhält die natürliche Bodenfruchtbarkeit und fördert die Biodiversität."
Um der Vielfalt der Systeme gerecht zu werden, seien lokale Ansätze nötig, eine Verlagerung der Forschung vom Labor ins Feld, aber auch eine bessere Integration der Bäuerinnen und Bauern vor Ort sowie regionale Forschungsnetze.
Wenn die Welt mit neun Milliarden Menschen gesund ernährt werden soll, dann ist das nach Ansicht von Herren nur mit einem agrarökologischen Ansatz und einem solidarisch verantwortungsbewussten Verhalten möglich.
Die Produktion von Pestiziden und Mineraldünger braucht viel Erdöl. Auch deshalb ist der Treibhausgasausstoß im ökologischen Landbau viel geringer als in der konventionellen Landwirtschaft, da er weitgehend ohne Agrochemikalien auskommt. Eine Welt mit genügend und gesunder Nahrung für alle, produziert von gesunden Menschen in einer gesunden Umwelt - das ist seine (Bio-Vision).
All das gibt es zwar nicht gratis, doch die finanziellen Mittel, die dafür eingesetzt werden, verhindern weitaus höhere Kosten für die kommenden Generationen. Deshalb ist eine nachhaltige Ausrichtung zugleich eine Investition in die Zukunft. Nein, ökologischer Landbau ist kein Luxus für die Reichen, sondern eine „Überlebensnotwendigkeit".
Grundlage von Ernährungssouveränität ist Saatsouveränität
Das erste Glied in der Nahrungsmittelkette ist das Saatgut, das zu den Grundlagen unserer Ernährung gehört. Alle großen Pestizidfirmen verkaufen heute Saatgut wie Mais, Raps, Baumwolle und Soja-, das gegen Herbizide der jeweiligen Firma gentechnisch resistent gemacht wurde. In den letzten 150 Jahren haben sich Agrarindustrie und Nationalstaaten die bäuerlichen Zuständigkeiten über Saatgut und Pflanzenzüchtung angeeignet und Bäuerinnen und Bauern in die Abhängigkeit von Großkonzernen gebracht. Sie zielen darauf ab, bäuerliche Saatgutsysteme überflüssig zu machen und durch industrielle Saatgutsysteme zu ersetzen. Damit verbunden ist eine Vereinheitlichung der Landwirtschaft sowie der weltweite Verlust der Kulturpflanzenvielfalt.
Die Notwendigkeit der ökologischen Pflanzenzüchtung „speist" sich vor diesem Hintergrund auch aus immer neuen Zuchttechniken und Sorten-Patentierungen durch marktbeherrschende Konzerne. Saatsouveränität bedeutet deshalb auch, dass die Menschen, die damit umgehen, selbstbestimmt entscheiden und handeln können - im Sinne der Nachhaltigkeit.
Im Buch „Saatgut" von Anja Banzhaf werden einige Aktionen und Initiativen vorgestellt, bei denen es hauptsächlich darum geht, ein selbstorganisiertes Lernumfeld zu erschaffen sowie Wissen über Themen rund ums ökologische (Samen-)Gärtnern zu erlangen und weiterzugeben. Eine dieser Mitmachmöglichkeiten sind beispielsweise Sortenpatenschaften.
Engagement für Nachhaltige Ernährung
Zu den wichtigsten nachhaltigen Zielen im Bereich Ernährung gehören die Bevorzugung regionaler Produkte (Stärkung der Regionalwirtschaft, kürzere Transportwege), Produkte aus biologischem Anbau sowie die Verringerung des Fleischkonsums.
Seit 2007 ist die Köchin, Unternehmerin und Imkerin Sarah Wiener Initiatorin, Gründerin und Frontfrau der Sarah Wiener Stiftung „Für gesunde Kinder und was Vernünftiges zu essen". Das Lebensmittel- und Kochhandwerk lernte sie in den 1980er-Jahren in den Künstlerrestaurants ihres Vaters in Berlin.
Inzwischen führt sie ein erfolgreiches Catering-Unternehmen, ein biozertifiziertes Restaurant und eine Bio-Holzofenbäckerei. Zudem produziert sie eigene Produkte aus ökologischen Zutaten. Öffentlich setzt sie sich für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen sowie für ein ethisch-ökologisches Ernährungsbewusstsein in unserer Gesellschaft ein. Um den Kreislauf vom Acker auf den Teller zu schließen, hat Sarah Wiener sich einen Jugendtraum erfüllt und ist gemeinsam mit Partner auf dem Uckermärkischen Gut Kerkow unter die Bauern gegangen.
Dieser Thematik widmet sich auch der Verein für Nachhaltigkeit e.V., dessen Aktivitäten sich eingliedern in die UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung", die von den Vereinten Nationen für die Jahre 2005 bis 2014 ins Leben gerufen wurde. Die Arbeitsgruppe Nachhaltige Ernährung e. V. ist seit 1. 6. 2014 nicht mehr an der Technischen Universität München angegliedert, sondern am Beratungsbüro für ErnährungsÖkologie in München.
Zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz hat die Arbeitsgruppe im Rahmen des Programms Umweltbildung in Bayern und dem globalen Programm der UN Organisationen FAO und UNEP „Sustainable Food Systems Programme" einen Online-Video-Kurs „Nachhaltigkeit in der Ernährung" aufgelegt, der Tipps für eine praktische Umsetzung der Betrachtungen zu Nachhaltigkeit im Ernährungsbereich bietet. Diese gehen auf das Wissenschaftsgebiet der Ernährungsökologie zurück. Daraus wurden sieben Grundsätze[1] für eine nachhaltige Ernährung mit ihren fünf Dimensionen Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft, Gesundheit und Kultur entwickelt (nach Dr. Karl von Koerber et. al. 2012). Die Priorisierung erfolgt nach ökologischen Aspekten - absteigend nach Einsparpotential an Treibhausgasemissionen:
• Bevorzugung pflanzlicher Lebensmittel (überwiegend lakto-vegetabile Kost)
• Ökologisch erzeugte Lebensmittel
• Regionale und saisonale Erzeugnisse
• Bevorzugung gering verarbeiteter Lebensmittel
• Fair gehandelte Lebensmittel
• Ressourcenschonendes Haushalten
• Genussvolle und bekömmliche Speisen
Der Vorschlag von Sarah Wiener fasst das komplexe Thema einfach, aber perfekt zusammen:
„Essen wir wieder bewusster. Gemeinsam an einem Tisch, mit Freunden und der Familie. Essen wir nur das, was auch unsere Großeltern als essbar erkannt hätten, und verzichten wir auf Produkte, deren Etikett wir nicht verstehen oder dessen Intransparenz uns nicht sagt, woher die Gewürze, das Salz, die Inhaltsstoffe, die Eier, das Fleisch und anderes kommen. Geben wir den Bauern wieder ihre Würde und Souveränität durch angemessene und faire Preise zurück."
Anlässlich des Weltmilchtages am 1. Juni ruft Slow Food Deutschland - eine weltweite Bewegung, die sich für ein zukunftsfähiges Lebensmittelsystem einsetzt - dazu auf, die geschmackliche und biokulturelle Vielfalt des Urlebensmittels Milch zu bewahren und wertzuschätzen. In Stuttgart organisiert Slow Food Deutschland am Tag der Milch eine Wurzeltour auf den Reyerhof und macht die Zusammenhänge zwischen Geschmack, Herkunft, Tierfutter sowie Verarbeitungsmethode bei der Milch für die Teilnehmenden erlebbar. Der Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft, des traditionellen Lebensmittelhandwerks und der regionalen Arten- und Sortenvielfalt sind für Slow Food ebenso wichtig wie eine faire Entlohnung für zukunftsfähig arbeitende Erzeuger sowie die Wertschätzung und der Genuss von Lebensmitteln.
Weiterführende Literatur:
Anja Banzhaf: Saatgut. Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag, München 2016.
Hans R. Herren: So ernähren wir die Welt. Rüffer & Rub Sachbuchverlag GmbH, Zürich 2016.
Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
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Quelle:
www.huffingtonpost.deFußnoten:
- ^ Grundsätze (www.nachhaltigeernaehrung.de)
- ^ blog@huffingtonpost.de (www.huffingtonpost.de)
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